FSJ Kultur/Bundesfreiwilligendienstplatz – Freier Platz im Theater im Volkshaus für Organisation und Öffentlichkeitsarbeit
1. Juli 2021Brave New Work – Mit Vielfalt und Chancengerechtigkeit in die Zukunft. Gedanken zur Bremer Online Diversity-Konferenz. Ein Beitrag von Katharina Schmitz
Am 07.06.21 fand die vom Zentrum für Internationales Management organisierte Online Diversity-Konferenz ‚Brave New Work‘ statt. Der Name war Programm und in der Auswahl der Key-Speaker*innen spiegelte sich der Glaube an eine gerechtere Arbeitswelt und Gesellschaft wider.Die Akteur*innen der Konferenz sind sicher, dass sich dieses Ideal in Organisationen auch in einer gelebten Diversität niederschlagen soll. Diversität ist eigentlich kein Modebegriff, auch wenn er vielfach so vermarktet wird, sondern die Anerkennung der Tatsache, dass unsere Gesellschaft aus sehr unterschiedlichen Menschen mit sehr unterschiedlichen Hintergründen besteht, wobei strukturelle Benachteiligung für eine Ungleichverteilung von Macht und dem Zugang zu dieser zwischen unterschiedlichen Menschen sorgt. So hat nur ein kleiner Teil der Menschen in unserer Gesellschaft die Möglichkeit wichtige Entscheidungen zu treffen und unsere Welt mitzugestalten. Marginalisierte, also von der Gesellschaft benachteiligte Personengruppen, lassen sich in Kategorien zusammenfassen: Dazu gehören, Geschlecht, Hautfarbe, Sexualität und Gender, Weltanschauung, Religion, Alter und ob jemand behindert ist. Das alles sind Abweichungen von einer konstruierten Norm, in Wirklichkeit aber auch Teilnehmer*innen unserer Gesellschaft. Sind wir ehrlich, gehört die Welt schon viel zu lange einer privilegierten, sehr eingeschränkten Gruppe von Menschen. Mal abgesehen davon, dass das nicht fair ist, wird uns dieser enge Blickwinkel, den diese Gruppe bietet in Zukunft auch nicht weiterbringen.
Eine der Key-Speaker*innen von ‚Brave New Work‘ war Joana Breidenbach, Gründerin der Plattform betterplace.org und Autorin (mit Bettina Rollow) des Bestsellers ‚New Work needs Inner Work‘. Sie geht davon aus, dass Veränderungen keine äußerlichen sind, sondern von innerem Wandel gestützt werden müssen. Nur so sind diese nachhaltig. In diesem Sinne reicht es eben nicht, in Recruitmentprozessen Stellen auszuschreiben und den Bewerbungsprozess diskriminierungsarm zu gestalten, viel mehr muss eine Organisation bereit sein für die Bedürfnisse unterschiedlicher Mitarbeiter*innen. Sie muss sich für alle sicher anfühlen und das nach außen auch verkörpern. Sonst werden sich immer dieselben weißen Cis-Männer bewerben und die ausgeschriebenen Stellen erhalten. In Unternehmen muss sichergestellt werden, dass die Organisationskultur Privilegien aufbricht, empathisch und multiperspektivisch ist. Empathie ist die Fähigkeit mit einer Kollegin mitzufühlen, während Multiperspektivität noch weiter geht, sie ermöglicht ein heraus treten aus mir selbst, um die andere Perspektive noch umfassender wahrzunehmen. Das bedeutet ich kann auch Erfahrungen von Kolleg*innen verstehen, die in meiner Lebensrealität keine Rolle spielen. Diese beiden Kompetenzen sind die Voraussetzung für das Hinterfragen von Hierarchien und eine Arbeitsatmosphäre, die von den Mitarbeitenden selbst sinnvoll gestaltet wird.
Um das zu erreichen müssen Organisationen Orte schaffen, an denen Empathie und Multiperspektivität geübt werden können. Eine interessante Einzelübung oder Routine stellt Breidenbach zum Beispiel von Kay Pollak vor. Pollak hat sich ein Kartenspiel erstellt, mit Fotos seiner Team Kolleg*innen, die er sich jeden Morgen vor Seinem eigentlichen Arbeitsbeginn anschaut. Er ruft sich die Menschen um ihn herum damit aktiv in Erinnerung um sich energetisch auf sie einzustellen. So hat er alle seine Mitarbeitenden als allererstes präsent, noch bevor er irgendetwas anderes tut.
Frederic Laloux ermutigt Coachinnen in seinem Buch ‚Reinventing Organizations‘ dazu für andere Interessen einen echten physischen Vertreter abzustellen. So gibt es bei ihm in morgendlichen Meetings immer einen leeren Stuhl, auf dem der Zweck der Organisation sitzt. Auf diesen Leeren Stuhl können sich alle im Meeting setzen und nur für den Zweck argumentieren. Das ist eine Möglichkeit seine individuelle Perspektive zu verlassen, wenn das Tagesgeschäft droht Teilnehmende dazu zu verleiten, nicht mehr für das gemeinsame Ziel zu argumentieren.
Solche Übungen und Routinen sind in allen Arbeitszusammenhängen wichtig, aber nicht alle haben Übung mit Ihnen. Im Theater üben Schauspieler*innen regelmäßig sich auf andere einzulassen und fremde Perspektiven einzunehmen. Das ist wichtig für alle einzelnen, aber auch für das gesamte Ensemble, welches eine gemeinsame Aufführung anstrebt und aufeinander eingeschworen sein muss. In der aktuellen Inszenierung ‚Ankommen‘ spielt der Stuhl den auch Laloux zum Stellvertreter erklärt eine zentrale Rolle und stand in einer Übung im Mittelpunkt. Dabei baten wir die Teilnehmenden, nacheinander in der Mitte des Aufwärmkreises eine Skulptur aus Stühlen zu bauen. Die Teilnehmenden bauten dabei auf den Stühlen ihrer vorangegangenen Mitstreiter*innen auf und schufen so zusammen vorher erwähnte Skulptur. Danach gingen die Teilnehmenden um ihr Werk herum und sagten, was sie sehen und was die Skulptur nun sein könnte. Einige Sahen Monster, andere Türme oder ganz andere Dinge. Dabei bezogen sie sich aufeinander lernten aber auch ihre und die Wahrnehmung der Anderen kennen. Sie konnten abgleichen, ob sie sehr ähnliche oder andere Gedanken zu der Skulptur hatten als die anderen Teilnehmenden.
Die individuelle Fähigkeit und das Gesamtklima zu schaffen, in dem sich Mitarbeiter*innen ineinander hineinversetzen können bzw. auch den fremden Standpunkt vertreten können, ist extremwichtig für die Arbeitsgemeinschaft. Die häufigsten Probleme, die von fehlender Multiperspektivität ausgelöst werden, sind:
1. Der Rückzug auf die eigene Perspektive und der Verlust eines Gesamtüberblicks, sowie den daraus resultierenden Synergien.
2. Probleme eine vorbestimmte Ausrichtung zu verfolgen und zu halten, wodurch die Teamleistung und individuelle Entwicklung gehemmt werden.
3. Gelähmte basisdemokratische Entscheidungsprozesse, in denen Akteur*innen sich gezwungen sehen an allem mitzuentscheiden und sich so gegenseitig im Weg stehen.
Für ein reibungsarmes und erfüllendes Zusammenarbeiten sowie eine Arbeitskultur in der alle willkommen sind, sind solche Methoden und Rituale, die Empathie und Multiperspektivität fördern also unverzichtbar.
Quellen:
Breidenbach Joana und Rollow Bettina (2019): New Work needs Inner Work. 2. Auflage Verlag Franz Vahlen München. Laloux Frederic (2014): Reinventing Organizations. First edition Published by Nelson Parker.